Tuesday, September 23, 2014

Disruptive Innovation Eine wahre Geschichte Zephram


ausflug mit radio

Ausflug junger Australier mit Radio im Mittelpunkt, etwa 1955



Radios, Röhren und RCA


röhrenradio

Radiogerät mit Röhren



In den 1950er Jahren waren private Radios große, schwere Geräte in einem Holzgehäuse, die im Wohnzimmer auf einem eigenen Tisch oder im Schrank standen. Sie waren auch teuer – nur Ehepaare ab einem mittleren Einkommen konnten sich eins leisten. Entscheidend für die Qualität waren die Sensitivität, um weit entfernte Sender empfangen zu können und die Klangqualität, die mit großen Lautsprechern realisiert wurde.


Zu den Marktführern in USA zählte zu dieser Zeit die Radio Corporation of America (RCA) aus New York. RCA betrieb auch Fernseh- und Radiosender, einen Schallplattenverlag und viele weitere Geschäfte in der Medienbranche.


Vakuumröhre

Röhre



Empfangsteil und Verstärker in diesen Geräten wurden mit Vakuumröhren realisiert. Diese waren komplizierte Bauteile, die viel Platz und Energie brauchten, sie wurden mehrere Hundert Grad heiß und waren anfällig für Erschütterungen. Vakuumröhren waren auch wenig zuverlässig und mussten oft ersetzt werden. Der Vertrieb der Radios lief hauptsächlich über Fachgeschäfte, die die entsprechenden Reparaturen durchführen konnten. Diese Reparaturen waren eine wichtige Einnahmequelle für die Fachhändler.


Es gab zu dieser Zeit zwar auch portable Radios, aber sie waren so groß wie ein kleiner Koffer und brauchten drei verschiedene, schwere Batterien, die nicht wieder aufgeladen werden konnten.


Sony und der TR-63


transistor

Transistor



Der Transistor war 1947 von Bill Schockley erfunden worden, wofür er neun Jahre später den Nobelpreis für Physik erhielt. Dieser Halbleiterbauteil konnte die gleichen elektrotechnischen Funktionen wie die Vakuumröhre erfüllen, hatte aber eine Reihe von Vorteilen: er war wesentlich kleiner, brauchte weniger Strom, wurde nicht heiß und ging praktisch nie kaputt. 1954 wurde das erste kommerziell erhältliche Transistorradio von Texas Instruments eingeführt.


sony tr63

Sony TR63



1957 führte das japanische Unternehmen Tokyo Tsushin Kogyo unter dem Markennamen Sony das Transistorradio TR-63 in den USA ein. Dieses Gerät wurde mit einer kleinen 9V-Batterie betrieben und passte laut Werbung in die Brusttasche eines Hemdes. (Das Unternehmen hat aber angeblich Hemden mit extragroßen Taschen für seine Vertriebsmitarbeiter anfertigen lassen!)


Der TR-63 kostete nur 39$ (etwa 330$ in heutigen Preisen). Die Zielgruppe für das Produkt waren nicht Ehepaare, sondern Teenager. Dies war die Zeit von Elvis Presley und Rock ‘n Roll – junge Menschen wollten diese Musik hören, was die empörten Eltern zu Hause aber nicht erlaubten. Außerdem wollten sie sich weit weg von zu Hause treffen und unter sich sein. Durch seine Portabilität und seinen günstigen Kaufpreis wurde der TR-63 schnell zu einem großen Verkaufserfolg: Schon im ersten Jahr wurden mehr als 100.000 Stück davon verkauft. Wegen dieses Erfolges änderte Tokyo Tsushin Kogyo seinen Namen 1958 zu Sony.


Die Reaktion von RCA


nuvistor

Nuvistor



Wie hat der Marktführer RCA auf den Erfolg des neuen Konkurrenten reagiert? Er ist weder zur neuen Technologie gewechselt noch hat er ein Angebot für Teenager entwickelt. Stattdessen hat er die Vakuumröhre verkleinert. 1959 hat er den Nuvistor, eine miniaturisierte Version der Vakuumröhre eingeführt. Der Nuvistor hatte aber kein langes Leben: Die Vorteile der Halbleiterkomponenten waren einfach zu groß.


Sony dagegen hat viele weitere, immer wieder verbesserte Radiomodelle auf den Markt gebracht und den Preis gesenkt. Dadurch das Unternehmen immer größere Marktanteile erobert und angefangen, Fernseher und andere Unterhaltungselektronik zu produzieren. Für RCA dagegen begann ein langsamer Niedergang; schließlich wurde das Unternehmen zerschlagen und die Marke an fremde Firmen verkauft.


Die Entscheidung, nicht zur neuen, verbesserten Technologie zu wechseln und neue, aufstrebende Zielgruppen zu ignorieren erscheint aus heutiger Sicht wenig nachvollziehbar. Tatsächlich sind die Gründe aber bekannt und nachvollziehbar:



  • Sony wurde nicht als Bedrohung wahrgenommen: das Unternehmen war zu dem Zeitpunkt in USA unbekannt, und japanische Unternehmen hatten keinen Ruf für technologische Produkte.

  • Die Zielgruppe für die kleinen Transistorradios war eine ganz andere als die der Wohnzimmergeräte. Die jungen Menschen hatten auch weniger Geld als ihre Eltern, und entsprechend waren die für Sony erzielbaren Gewinnmargen dünner als die, die bei RCA üblich.

  • Das Werteversprechen der Röhrengeräte war hauptsächlich ihre hohe Klangqualität; die 9 Volt-Taschenradios mit ihren kleinen Lautsprechern konnten damit nicht mithalten. Darin wurde RCA in ihrer Position von der Fachpresse bestärkt, die die schlechte Klangqualität der Taschenradios bemängelte.

  • Schließlich war RCA Geisel ihres eigenen Vertriebsnetzes: Die Fachhändler, die die Geräte verkauften, verdienten auch gut mit der Reparatur und dem Ersatzteilgeschäft der anfälligen Vakuumröhren. Transistoren dagegen gingen so gut wie nie kaputt; Der Wechsel der Technologie hätte also für die Händler schmerzhafte Einkommenseinbüße bedeutet, und sie hätten großen Widerstand gegen ihre Einführung ausgeübt. Sony dagegen verkaufte seine Geräte über Supermarktketten wie Woolworths, für die sie eine willkommene Erweiterung des Warenangebotes darstellten.


Die Geschichte wiederholt sich


Die Geschichte von RCA ist kein Einzelfall – sowohl davor als auch danach haben etablierte Marktführer das Erscheinen eines neuen Wettbewerbers mit einem scheinbar irrelevanten Produkt ignoriert, was ihnen früher oder später zum Verhängnis geworden ist. Die Zwickmühle, in der RCA Ende der 1950er Jahre steckte, wird heute Innovator’s Dilemma genannt, und die Halbleitertechnologie wird als disruptiv bezeichnet, weil sie einen ganzen Markt verändert. Beide Begriffe stammen aus dem erfolgreichen Buch The Innovator’s Dilemma des amerikanischen Wirtschaftswissenschaftlers Clayton Christensen.


Die Moral der Geschichte ist, dass Unternehmen dazu bereit (und auch dazu imstande) sein müssen, ihren eigenen Angeboten Konkurrenz zu machen, wenn eine neue Technologie oder eine neue Marktsituation es nahelegt. Die Skeptiker in den eigenen Reihen protestieren typischerweise mit dem Argument, Damit kannibalisieren wir uns selber! Das Gegenargument dazu lautet, Das stimmt, aber wenn wir es nicht tun, macht es ein anderer. Das neue Angebot sollte so weit wie möglich von dem alten getrennt geführt werden, um die sonst unausweichlichen innerbetrieblichen Konflikte zu vermeiden. Die Problematik und mögliche Lösungen werden im Innovator’s Dilemma und seinem Nachfolger The Innovator’s Solution ausführlich beschrieben.


Bildquellen


Titelbild: John Oxley Library, State Library of Queensland Neg: 64345


Transistor und Nuvistor: Wikipedia




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